Urmel U.: Mein Leben mit „Counter Strike“ oder „Das Leben mit zwei Männern“

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Ich muss Euch unbedingt berichten, was in unserem Haus abgeht, auch wenn mir das kein normal denkender Mensch glaubt. Es sei denn: Er ist CounterStrike-Fanatiker! Zu dieser Sorte Mensch gehöre ich mit Sicherheit nicht…

Beginnen wir morgens 6.00 Uhr: Die Bewohner unseres Mehrfamilienhauses erheben sich langsam aus dem Bett. Bei einigen folgt auf der ersten Tasse Kaffee der Gedanke „Heute früh Feierabend machen. Muss meine Abschußstatistik verbessern“.

Im Laufe des Tages erfolgt dann schon mal ein kleines Abchecken per Telefon, wer denn alles so zu Hause ist am Abend (und wehe, jemand hat sich was anderes vorgenommen, als am Computer zu daddeln).

Endlich wieder im trauten Heim angekommen, werden gemütliche Klamotten angezogen. Enge Jeanshosen tragen höchstens zum unkontrollierten Bombenentschärfen bei.

Die Küche wird nach trink- und essbaren Sachen durchforstet und was sich finden lässt, wird in die heiligen Quadratmeter der Wohnung geschafft; dem PC-Arbeitsplatz. Alles wird ordentlich in Reichweite plaziert.

Dann das langersehnte Drücken des Powerknopfes. Der PC fährt hoch. Es folgt eine kleine Atempause, kein gelb-blaues Bild? Puh, Glück gehabt. Es erscheint der Desktop und es strahlt einem das schwarz-weisse CS-Logo entgegen. DIE SONNE ÜBER UNSEREM HAUS GEHT ZUM ERSTEN MAL AN DIESEM TAG AUF!!!! Aber nicht für mich, sondern für die zwei CS-Fanatiker, die mit mir in einem Haus wohnen!

Für mich beginnt ein Abend des Grauens, des Blutes… denn ich bin die Lebensgefährtin eines Mörders und Nachbarin eines furcherregenden Verfolgers. Unten, im Erdgeschoss, sitzt noch so einer. Ein niedlicher Bengel, ganz unscheinbar, höflich und zuvorkommend. Von wegen: Der hat es ebenfalls in sich. Abends geht der mit auf die Jagd auf irgendwelche Terroristen. Dieser allerdings stört jedenfalls meinen Feier(Feuer?)abend nicht.

Ich verfolge jeden Abend das ganze Spektakel bis zum endgültigen „Login“ meines Freundes. Nein, natürlich nicht DAS „Login“, das viele Frauen jetzt erwarten würden, sondern das Einschreiten durch das Tor zum dämlichsten Spiel des Jahrhunderts.

Das Telefon klingelt. Es ist – wie soll es auch anders sein – Nachbar Andreas: „Bist Du schon drin?“ (er hat gesehen, dass Jürgens Auto seid 10 Minuten vor der Tür steht… logisch, dass er davon ausgeht, dass Jürgen bereits im Netz ist. Gegenfrage folgt sofort: „Auf welchem Server seid ihr? Wer ist noch drin?“

Nachdem alle wichtigen Dinge des Lebens geklärt wurden, geht’s mächtig zur Sache. Ich versuche, mich nebenbei auf das Fernsehprogramm, aufs Bügeln, Essenkochen, Wäschewaschen und auf meine Computerarbeit zu konzentrieren. Vergeblich. Ich muss notgedrungen die Unterhaltungen zwischen Juergen, Andreas und dem Computer verfolgen:

PC: „Terrorists win“
Andreas (immer noch am Telefon): „Das gibt’s doch nicht!“
Jürgen: „Die bescheissen doch schon wieder.“
PC: „Go Go Go“
Jürgen: „Auf ein Neues“
Andreas: „Geh unten rum!
PC: „Fire in the hole“
Andreas: „Wo sind die denn?“
Jürgen: „Einer ist auf dem Dach. Einer unten am Fenster“
Andreas: „Vorsicht, Granate!“
Jürgen: „Links rum!“
Andreas: „Oh, wo kommt der denn her? Ja, danke. Scheisse. Bin schon wieder tot.“
Jürgen: „Wo sind die denn jetzt?“
Andreas: „Geh geradeaus. Jetzt links rum. Pass auf. Hinter der Tür stehen zwei, am Fenster einer…“
Jürgen: „Zu spät…bin tot.“
PC: „Terrorists win“
Andreas: „Hab kein Geld mehr. Mit AWP is wohl nichts.“
PC: „Go Go Go“
Andreas: „Tunnel?“
Jürgen: „Ja, logisch. Hat doch gut geklappt.“
Andreas: „Aua, die Sau!“
Jürgen: „Hat er Dich erwischt?“
Andreas: „Nee, aber jetzt. Scheisse!!! Lebst Du noch?“
Jürgen: „Ahhh. Jetzt nicht mehr…“
PC: „Terrorists win“
Andreas: „Ich versuche es nochmal unten rum.“
PC: „Go Go Go“
Jürgen: „Ich bin hinter Dir. Habe die Blendgranate.“
Andreas: „Ja, hab ich auch.“
Jürgen: „Pass auf. Dreh Dich um. Ich werfe sie jetzt.“
Andreas: „Oh scheisse, welcher Penner war das?“
Jürgen: „Ja, ich bin auch schon wieder tot.“

Und so weiter, und so weiter den ganzen Abend. Zwischendurch wird sich dann nervös mal eine Cigarette angezündet. Andreas hat die Angewohnheit, sich ständig eine anzuzünden, wenn er abgeschossen wurde. Ein Schluck Cola, und weiter geht`s. Andreas unterbricht kurz das Game. Seine Pizza wird geliefert. Fürs Kochen hat er keine Zeit. Zum Essen allerdings noch weniger. Jürgen ist sogar der Meinung, für CS hungern zu müssen…

Ich gehe derweilen genervt ins Bett, nachdem ich von Jürgen einen flüchtigen Gute-Nacht-Kuss bekommen habe. Von den Männern kann ich heute sowieso nicht mehr viel erwarten ausser die üblichen Gespräche. Ich höre aus der Stube noch leise Jürgens Fluche über „Nachladen, scheiss Camper (warum sind Camper scheisse?), Abschuss-Klauer, Teamkill“ etc. und schlafe endlich mehr oder weniger seelenruhig ein. Ob ich den nächsten Morgen noch erlebe? Oder fallen beide mordend über mich her heute Nacht, weil sie denken, dass ich die Bombe entschärfen will?

Ich träume von einem gutaussehenden Mann, mit mir am Strand spazierengehend. Er nimmt mich behutsam in den Arm und flüstert mir herzliche Worte ins Ohr. Dann fahren wir gemeinsam nach Hause und machen uns einen gemütlichen Abend zu zweit am Kamin…